Besuch im Olympischen Dorf Elstal b. Berlin (1936)
Die Gemeinde Elstal liegt 12 km vom westlichen Stadtrand Berlins entfernt zwischen den Orten Dallgow und Wustermark. Im Süden wird sie begrenzt von der Bundesstraße Nr. 5 Berlin - Hamburg, im Norden von der neuen Schnellbahntrasse Berlin-Hannover. Dieser mit rd. 2.500 Einwohnern kleine und relativ junge Ort besitzt eine bewegte Vergangenheit. In seinen Ortsgrenzen liegen ein riesiger Verschiebebahnhof und das verlassene
125 ha große ehemalige Olympische Dorf der Spiele 1936. In der unmittelbaren Nachbarschaft entstand 1910 der erste Militärflugplatz in Deutschland, im Bereich des seit 1713 benutzten, 1884 offiziell eingerichteten und nach der Wende aufgelösten Truppenübungsplatzes Dallgow Döberitz.
Ein historisches Jubiläum, 80 Jahre Ortsentwicklung, nahm der Verein "Historia Elstal e.V." zum Anlaß, in der ehemaligen Sporthalle des Olympischen Dorfes seine Ausstellung "Elstaler Skizzen" der Öffentlichkeit zu zeigen. Wir waren am 7. November 1998 vor Ort und hatten das Glück, von einem älteren erfahrenen ortskundigen Elstaler Bürger im Rahmen dieser Ausstellung eine private Führung durch das verlassene und verwahrloste Sportlerdorf zu erhalten.
Zunächst studierten wir in der ungeheizten eisigen, riesengroßen alten Turnhalle die einfachen Tafelreihen mit den Kopien alter Fotos und Dokumente. Sie vermittelten die wichtigsten Ereignisse aus der Ortsgeschichte, die Baugeschichte und die Ereignisse im Olympischen Dorf 1936, dazu in gegenübergestellten Fotos die Dokumentation des dramatischen Verfalls einer ehemals repräsentativen Sporteinrichtung, die vor allem in der russsischen Besatzungszeit und jüngst durch Vandalismus nach der Wende unvorstellbar gelitten hat.
Es bedarf großer Eingebungskraft, sich anhand der noch verbliebenen Gebäuderuinen mit Hilfe ehemaliger Planskizzen im Gelände zu orientieren. Es kommt hinzu, daß in den Nachkriegsjahren auf diesem militärisch genutzten Kasernengelände viele der ehemaligen eingeschossigen Sportlerunterkünfte abgerissen und an drei örtlichen Schwerpunkten vierstöckige Plattenbauten für die Unterbringung russischer Offiziersfamilien errichtet wurden. Von den rund 150 ehemaligen Gebäuden sind nur noch etwa 25 erhalten. Zwischen der Turnhalle und dem nach der Wende ausgebrannten Schwimmbad erkennt man noch deutlich die weitflächige Trainingsanlage mit der ovalen 400m Aschenbahn. Nordwestlich schließen sich an einer alten asphaltierten Straße zwei Reihen verwahrloster einstöckiger Unterkunftshäuser an, deren Fenster und Türen unmittelbar nach dem Abzug russsischer Militäreinheiten 1982 nach Afghanistan zugemauert wurden. Diese Gebäude, einstmals Unterkunftshäuser für die amerikanischen Olympia-Teilnehmer, stehen wohl deshalb noch, weil sie in der Nachkriegszeit lange Zeit als Lazarett dienten, und sind nun gleichfalls dem Verfall preisgegeben. Westlich davon liegt das große zentrale Haus Berlin, Küchen- und Wirtschaftsgebäude, auch Speisehaus der Nationen genannt. Dieser moderne Rundbau des Architekten March, der ebenfalls das Berliner Olympiastadion schuf, ist wohl das eindruckvollste Gebäude damals gewesen; es steht unter Denkmalschutz. Heute werden hier erste handfeste Sanierungsmaßnahmen zur Erhaltung der Bausubstanz durchgeführt. Das Gebäude wurde unmittelbar nach der Olympiade zu einem Lazarett umgebaut. Im östlichen Flügel des Berliner Hauses waren in der Militärzeit unter Hitler die Operationsräume untergebracht, und unser Elstaler Heimatkundler weiß genau, daß hier auch eine Entbindungsstation vorhanden war, die auch Elstaler Bürgern zur Verfügung stand. Seine Schwester sei Anfang der 40iger Jahre hier auf die Welt gekommen, versicherte er mir.
Von hier aus öffnete sich der Blick talwärts über eine Senke hinweg auf den in einer parkähnlichen Landschaft gelegenen See mit der Sauna und einer Holzbrücke. Der einstmals idyllische Waldsee ist heute völlig verschwunden, nachdem das Grundwasser durch verschiedene regionale Baumaßnahmen abgesenkt wurde. An der südlichen Grenze des Dorfes unmittelbar an der B 5 gelegen stand das Empfangsgebäude, das bei Kriegshandlungen 1945 zerstört wurde. Erhalten blieb nur der Straßen-Verbindungstunnel unter der B 5. Im südöstlichen Randbereich des Dorfes blieb auch noch das ebenfalls denkmalgeschützte Hindenburghaus erhalten. Hier waren im Zentralbau kulturelle Einrichtungen untergebracht. Dazu zählten neben einem Theatersaal auch ein Fernsehraum, in dem die sportlichen Ereignisse aus dem Stadion zeitversetzt um 2 Minuten mit früher moderner Technik dargeboten wurden. Es dauerte nämlich 2 Minuten, bis die Filme im Schnellverfahren entwickelt waren und in den Projektor hineinliefen. In den Gebäudeflügeln des Hindenburg-Hauses trainierten die Ringer und Boxer. Das Dorf besaß auch ein Kommandantenhaus. Der erste Kommandant des Olympischen Dorfes überwachte bereits die Baumaßnahmen von 1934-1936. Da er Halbjude war, wurde ihm noch vor den Spielen ein anderer Offizier vor die Nase gesetzt. Demonstrativ beging der degradierte Kommandant jüdischer Abstammung in den Augusttagen 1936 Selbstmord.
Mit einer Ausnahme (Hindenburghaus), trugen alle Gebäude Namen deutscher Städte in einer Anordnung innerhalb des Dorfes, die etwa der geographischen Lage der jeweiligen Stadt in Deutschlands Grenzen entsprach. Die Unterkünfte der männlichen Sportler hier in Elstal waren heutigen Erwartungen gegenüber spartanisch einfach. Rechts und links des Mittelganges lagen die einzelnen Doppelzimmer, schlicht mit zwei Betten und zwei Nachttischen und einem Schrank möbliert. An den Wänden waren die von den Städten gestifteten rd. 4000 Bilder als einziger Schmuck angebracht. Die Sportler durften je ein Bild zu ihrer Erinnerung an die Spiele mitnehmen. Jedes Haus besaß eine zentrale Toilette, eine Duscheinrichtung, eine kleine Küche und einen Abstellraum für Koffer und Geräte. In jedem Haus stand für die Betreuung der rd. 30 Sportler ein deutscher junger Offizier zur Verfügung, der während der Spiele dort auch in einem eigenen Raum untergebracht war. Im Bereich des Olympischen Dorfes gab es auch ein Ärztehaus und ein Krankenhaus. Übrigens waren die Athletinnen separat in Berliner Unterkunftsräumen einquartiert.
Immer wieder einmal berichteten in den vergangenen Jahren die Zeitungen von sensationellen Plänen inländischer und amerikanischer Investoren, die das interessante historische Gelände im Zusammenwirken mit der Landesentwicklungsgesellschaft Brandenburg (LEG) zu einem eindrucksvollen Wohngebiet einer größeren Stadtsiedlung umwandeln wollten, aber schließlich vor der eigenen Courage und den Bedingungen der Denkmalschützer kapitulierten. Die Gemeinde Elstal wird aus eigener Kraft den fortschreitenden Verfall des Olympischen Dorfes nicht aufhalten können. Wenn hier nicht bald ein vernünftiges und praktikables Konzept gefunden wird, dürfte sich der bestehende Ensembleschutz in kürzester Zeit selbst ad absurdum führen. /Dez. 1998
Hans-Ulrich Rhinow
Rohrbecker Weg 5-7
14612 Falkensee
Tel.: 03322-20 74 90
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